Der Düsseldorfer Politologe Thomas Poguntke erklärt, was am aktuellen „NRW-Check“ besonders spannend ist.
Interview zum „NRW-Check“„Menschen sind so unzufrieden, dass sie sagen: Es ist egal, was die AfD sonst noch vertritt“
Herr Professor Poguntke, was springt Ihnen im aktuellen „NRW-Check“ am meisten ins Auge?
Thomas Poguntke: Das ist zunächst der inzwischen klar erkennbare Landesvater-Bonus für Hendrik Wüst. Er klettert in der Popularität stetig und überstrahlt auch die eigene Partei, den kleinen Koalitionspartner sowieso. Das ist für die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, recht typisch: Das Regieren zahlt auf den Amtsinhaber ein, wenn er – wie Wüst – keine größeren Fehler macht.
Thomas Poguntke, geboren 1959, ist Politikwissenschaftler und seit 2011 Co-Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Uni Düsseldorf.
Woran liegt das?
Die Menschen wissen zu unterscheiden zwischen der Bundespolitik und der Landesebene. Hier sind das Verwalten und das Repräsentieren fast wichtiger als Gesetzgebung und Richtungsentscheidungen. Wüst macht das geschickt, indem er sich aus den Niederungen der Verwaltung heraushält und bei konfliktreichen oder heiklen die Themen die Fachminister vorschickt.
Was kann man daraus für die Machtfrage in der CDU und die Kanzlerkandidatur 2025 ableiten?
Friedrich Merz hat ein Popularitätsproblem. Wüst hätte als beliebter Spitzenpolitiker im bevölkerungsreichsten Bundesland einen zusätzlichen Startvorteil im Rennen ums Kanzleramt. Wer in NRW erfolgreich regiert, ist immer eine Option für den Bund. Also ist Wüst der, um den Merz sich als Konkurrent die meisten Sorgen machen muss. Zumal Wüst sich programmatisch nicht festlegt, während die von Merz geführte CDU unverkennbar einen Weg zurück zu ihrem alten Markenkern, einer stärker konservativen Ausrichtung, angetreten hat. Das sieht man auch an der laufenden Programmarbeit, die Merz zum Beispiel mit seinem Dauerbrenner „Leitkultur“ befeuert.
Mit dem Finger im politischen Wind: Wer wird Kanzlerkandidat der Union?
Ich rechne mit Merz. Einem einigermaßen stabilen Parteichef sein Erstzugriffsrecht streitig zu machen, ist für den internen Herausforderer immer ein Problem. Herausforderer aus Bayern einmal ausgenommen. Zumal Wüst mit seinen 48 Jahren sagen kann: Ich festige meine Machtposition in NRW und lasse mir Zeit.
Die Grünen in NRW sind innerhalb der Koalition eher abgehängt, genau wie Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur.
Sie liegen aber – gerade im Vergleich zur Ampelpartei SPD – eher stabil. Schwache Popularitätswerte ihrer Spitzenleute sind für die Grünen kein Riesenproblem. Sie werden vornehmlich aus inhaltlichen Gründen gewählt. Deswegen wird Neubaur mit ihren Werten ganz gut leben können. Katastrophal fällt der NRW-Check für die SPD aus. Ihr Führungspersonal ist im ehemaligen SPD-Stammland praktisch unbekannt. Damit verpufft alles, was die Partei möglicherweise an Gutem zu bieten hätte. Aus diesem Tal wieder herauszukommen, wird ein harter, langer Weg.
Wie könnte das gelingen? Import eines Frontmanns, einer Frontfrau, wie es die CDU in NRW weiland mit Kurt Biedenkopf oder Norbert Blüm versucht hat – oder in Berlin mit Richard von Weizsäcker?
In NRW ohne sonderlichen Erfolg, wohlgemerkt. Und wer in der SPD wollte sich das antun? Das ist eine Abwärtsspirale. Denken Sie an Bayern: Welcher SPD-Mensch, der noch was werden will, ginge als Galionsfigur nach Bayern? Zudem ist die SPD aktuell im Bund nicht gerade gesegnet mit Charismatikern, die Wahlen gewinnen könnten.
Solche Gedanken, sagen Sie, müssen sich die Grünen in NRW nicht machen?
Auch da ist der „NRW-Check“ interessant. Die Ergebnisse befestigen den Befund, dass Grünen-Wähler andere Präferenzen haben als der Rest der Bevölkerung: Sorge vor Zuwanderung? Bei allen hoch, bei der Grünen-Klientel niedrig. Bezahlbare Energie? Ähnlich. Folgen des Klimawandels? Für die Grünen-Anhängerschaft ein Riesenproblem, für die anderen tendenziell weniger wichtig.
Die „grüne Blase“, die Sie schon einmal ausgemacht haben?
Die grüne Wählerschaft steht programmatisch-ideologisch sehr geschlossen. Deswegen sind die Umfragewerte – im Gegensatz zu den anderen beiden Ampel-Parteien SPD und FDP – recht stabil. Auch in ihrer Realitätswahrnehmung sind Grünen-Wähler – wenn Sie so wollen – nachhaltig: Die Sorge ums Klima, die nach der Flutkatastrophe 2021 allbeherrschend war, hat in der Breite der Bevölkerung inzwischen wieder nachgelassen.
Ideologische Geschlossenheit kann man aber auch bei der AfD-Klientel erkennen.
Das stimmt. Aber da sehen Sie in den Umfrage-Ergebnissen auch den hohen Anteil an Zulauf, der aus Verärgerung kommt.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt, eine recht große Zahl der Bundesbürger halte die politischen Vorstellungen der AfD für richtig.
Diese behauptete Übereinstimmung mit den Zielen der Partei speist sich vor allem aus dem Thema Migration und Ausländer. Die wahrgenommenen Probleme erzeugen eine so große Unzufriedenheit, dass Menschen sagen: Es ist mir egal, was die AfD sonst noch alles vertritt. Sie wählen diese Partei in der Hoffnung, dass die übrigen sich verändern. Problematisch ist das vor allem für die CDU.
Warum?
Auch und gerade mit einer verschärften Ausländerpolitik hat die Union ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Leute sagen sich: Das mit den Flüchtlingen hat doch alles unter einer CDU-Kanzlerin angefangen. Warum sollte ihre Partei das jetzt anders machen? Auch aus den markigen Worten von Olaf Scholz zur Rückführung von Ausländern ist bislang in der Praxis wenig gefolgt. Das führt zu einer Abkehr von den etablierten Parteien insgesamt und zahlt auf die AfD ein, bei der die Menschen sich – bildlich gesprochen – dann mal „die Nase zuhalten“. Schön für die Demokratie ist das nicht. Allerdings hat der Rückhalt für die AfD unter dem Eindruck des „Treffens von Potsdam“ und den sich anschließenden Demonstrationen gegen Rechtsextremismus schon gelitten.