Im November geht in NRW mit „Solingen“ bereits der fünfte U-Ausschuss an den Start. Stehen Aufklärungsinteresse oder politische Spielchen im Mittelpunkt? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wüst-Regierung unter DruckKein anderes Bundesland zählt mehr Untersuchungsausschüsse als NRW
In keinem anderen Bundesland gibt es mehr Parlamentarische Untersuchungssauschüsse (PUA) als im Landtag von NRW. Das hat eine Recherche des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ergeben. Danach laufen in Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen, Brandenburg und Bayern jeweils vier U-Ausschüsse, Mecklenburg-Vorpommern zählt drei, Sachsen zwei, Baden-Württemberg, das Saarland, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Hessen, Bremen, Hamburg und Berlin jeweils einen U-Ausschuss.
Wenn in Düsseldorf im November der PUA „Terroranschlag vom 23. August 2024“ eingesetzt wird, nimmt der fünfte U-Ausschuss in der laufenden Legislaturperiode im Düsseldorfer Landtag seine Arbeit auf.
Warum gibt es so viele PUAs in NRW?
Alles zum Thema Ina Scharrenbach
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Die PUAs werfen ein Schlaglicht darauf, welche Krisen und Skandale die jeweilige Landesregierung unter Druck setzen. In NRW sind sie ein verfassungsrechtlich verbrieftes Minderheitenrecht. Es reicht aus, wenn ein Fünftel der 195 Landtagsabgeordneten (39) die Einsetzung beantragen. Der „PUA I Kindesmissbrauch“, der die Hintergründe des Lügde-Skandals aufdecken soll, und der „PUA II Hochwasserkatastrophe“ tagten schon in der vergangenen Legislaturperiode, kamen aber bis zur Landtagswahl 2022 nicht zu einem Abschluss. Neu sind der „PUA III Brückendesaster“, der nach der Sperrung der Rahmede-Talbrücke an der A 45 bei Lüdenscheid eingesetzt wurde und der PUA IV „OVG-Besetzung“, bei dem es um eine Justizaffäre geht. Der Terroranschlag von Solingen soll im „PUA V“ im Landtag aufbereitet werden.
Wozu dienen sie?
Die U-Ausschüsse haben das Ziel, Versäumnisse, Unterlassungen, Pannen und Fehleinschätzungen der Regierung mit gerichtsähnlichen Befugnissen ans Licht zu bringen. Sie sind ein wichtiges Kontrollinstrument in der Demokratie und das „schärfte Schwert“ der Opposition. Die Regierung kann dazu verpflichtet werden, dem Parlament alle Akten, E-Mails und Telefonverbindungsdaten, die für den Untersuchungsgegenstand relevant sind, zur Verfügung zu stellen.
Kabinettsmitglieder, Spitzenbeamte und Sachbearbeiter können als Zeugen vernommen werden. PUAs sind somit „ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer parlamentarischen Demokratie“, sagt Ina Blumenthal, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Landtag.
Wie gefährlich ist die Aufklärungsarbeit für die Regierung?
Beim Aktenstudium und bei den Befragungen kommen oft pikante Details ans Licht, die erhebliche politische Sprengkraft bergen können. So erlitt die rot-grüne Landesregierung von Hannelore Kraft (SPD) vor ihrer Abwahl im Jahr 2017 durch die Enthüllungen in den PUAs zu den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht und zu den Ermittlungspannen im Fall des Tunesiers Anis Amri, der bei einem Anschlag in Berlin zwölf Menschen tötete, einen erheblichen Vertrauensverlust. Die frühere NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) trat 2022 zurück, weil sie dem U-Ausschuss Details über einen Mallorca-Besuch nach der Flutkatastrophe vorenthalten hatte.
Sind PUAs ein politisches Kampfinstrument?
So sehen es die Regierungsparteien. Im „Brücken-PUA“ habe bereits die Begrenzung der Untersuchungen auf den Zeitraum seit dem Regierungswechsel 2017 dokumentiert, „dass es der Opposition nicht ansatzweise um Aufklärung, sondern lediglich um eine politische Diffamierung des damaligen Verkehrsministers Henrik Wüst geht“, sagt der CDU-Parlamentarier Jörg Geerlings. Der SPD-Politiker Gordan Dudas sieht das anders: „Was mit dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden passiert ist, hätte vermutlich auch mit der Talbrücke Rahmede passieren können.“ Wüst stehe im Fokus, weil er als Verkehrsminister der Laschet-Regierung die Verantwortung dafür getragen habe, dass das marode Bauwerk nicht ersetzt wurde.
Wieso dauern die Untersuchungen oft so lange an?
Im „PUA Missbrauch“ wurden schon in der 17. Legislaturperiode in mehr als 75 Sitzungen weit über 100 Zeugen vernommen. Im aktuellen Fortsetzungs-PUA wurden in 54 Sitzungen bereits mehr als 100 weitere Zeugen befragt. Sechs Jahre nach der Festnahme des Haupttäters von Lügde könnten sich viele Zeugen „häufig gar nicht oder nur noch bruchstückhaft“ an die Vorgänge erinnern, sagt der CDU-Abgeordnete Jochen Klenner. In den Anfangsjahren habe der PUA erhebliche Mängel in den Jugendämtern aufdecken und Erkenntnisse bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen sammeln können, aber jetzt verliere man sich im „Klein-Klein“.
Andreas Bialas, Obmann der SPD, sieht jedoch weiteren Aufklärungsbedarf: „Noch immer stoßen wir bei unserer Arbeit auf eklatante Mängel in den staatlichen Strukturen, die es zu beheben gilt. Hier gibt es noch viel zu tun.“ Im „PUA Flut“ verzögerte sich die Arbeit, weil NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) die Herausgabe angefragter Akten monatelang verweigerte. „Ewig lange Beratungsdauern nutzen weder Regierung noch Opposition“, kritisiert der Grüne Mehrdad Mostofizadeh.
Was bedeutet die hohe Zahl der PUAs für die Arbeit des Parlaments?
Bei der CDU ist jeder dritte Abgeordnete in einen PUA eingebunden. Vor allem für kleine Fraktionen sei die hohe Zahl der PUAs „eine enorme Arbeitsbelastung“, sagt Marcel Hafke, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Landtag (12 Abgeordnete). Der Abgeordnete Werner Pfeil vertritt seine Fraktion gleich in zwei Untersuchungsausschüssen. „Es bedarf einer guten Vorbereitung“, sagt der Liberale aus Stolberg. „Wenn dann die Zeugen die entsprechenden Antworten zur Überraschung aller geben, weiß man, dass die Entscheidung, den PUA einzurichten, goldrichtig war.“ Die Fraktionen können dafür wissenschaftliche Mitarbeiter einstellen, die der Landtag finanziert. Dafür erhalten sie bis zu drei Stellen.
Welche Rolle spielen die Chefankläger?
Die Obleute der Opposition bereiten die Vernehmungen vor. Sie sind Ansprechpartner von Öffentlichkeit und Medien, manche könne die Rolle als Karrieresprungbrett nutzen. So wurde Stefan Kämmerling, „Chefankläger“ der Opposition im „PUA Flut“, zum Landesgeschäftsführer der NRW-SPD befördert. Ina Scharrenbach wurde als Gegenspielerin des damaligen NRW-Innenministers Ralf Jäger (SPD) im „PUA Silvesternacht“ nach dem Regierungswechsel im Jahr 2017 mit einem Ministerposten belohnt.
Was kosten die U-Ausschüsse?
Laut Landtag NRW haben in dieser Wahlperiode die vier bislang eingesetzten PUAs in Summe 6,6 Millionen Euro gekostet. Am teuersten war der „PUA Missbrauch“ mit rund 2,7 Millionen Euro. Dabei sind die Sachkosten aber nicht mit eingerechnet. In den Fraktionen gibt es Berechnungen, nach denen sich die Gesamtsumme auf mehr als zwölf Millionen Euro beläuft.
Was bedeutet der „OVG-PUA“ für Justizminister Benjamin Limbach (Grüne)?
Laut SPD-Obfrau Nadja Lüders steht „nicht weniger als ein Manipulationsverdacht bei der Besetzung einer der höchsten Richterstellen in NRW im Raum“. Um eine langjährige Duz-Bekannte des Justizministers in das Amt zu hieven, habe die Landesregierung geheim gehaltene Gespräche mit den Mitbewerbern geführt, Bewertungskriterien verschoben und Parteifreunde eingeschaltet. Ein im Besetzungsverfahren unterlegener Bundesrichter hatte die Vorwürfe mit einer eidesstattlichen Versicherung untermauert. Limbach beteuert, es habe keine Mauscheleien gegeben. Stellt sich nun heraus, dass ihm politische Absprachen persönlich bekannt waren, wird es eng für den Minister. Warum hat es bei der Einsetzung des „PUA Terroranschlag“ Krach gegeben?
Die SPD warf CDU und Grünen vor, die Einsetzung des „PUA Solingen“ zu verzögern und den Untersuchungsauftrag zu stark einzugrenzen. Die SPD hatte verlangt, dass dem Parlament die gesamte Kommunikation der Regierungsmitglieder nach dem Anschlag übermittelt wird, CDU und Grüne lehnten das aber zunächst ab. Bei dem Terroranschlag am 23. August starben drei Menschen, der mutmaßliche Täter ist ein Islamist, dessen Abschiebung gescheitert war.
„Wie konnte das passieren? Welche Mängel hat es hier im Verantwortungsbereich von Ministerin Josefine Paul von den Grünen gegeben?“, will SPD-Obfrau Lisa-Kristin Kapteinat wissen. Man dürfe jetzt „keine Zeit verlieren“, um schnellstmöglich die notwendigen Erkenntnisse zu gewinnen und die politischen Konsequenzen daraus zu ziehen.