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„Habe die Schnauze voll“Kohleausstieg 2030 bereitet Politikern in Rhein-Erft Sorgen

Lesezeit 6 Minuten

Braunkohletagebau Garzweiler.

Rhein-Erft-Kreis – Schon bis 2030 – statt wie bisher geplant 2038 – will das Land aus der Braunkohleaussteigen, zumindest ist das der vom neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst in seiner ersten Regierungserklärung bekundete Wille. Für das Rheinische Revier bedeutet es noch mehr Druck auf den Strukturwandel. Wir haben Reaktionen in der Region gesammelt.

„Die Aussagen des Ministerpräsidenten überraschen uns nicht“, teilt RWE-Pressesprecher Lothar Lambertz mit. Im Bundestagswahlkampf habe der damalige Ministerpräsident bereits einen früheren Ausstieg in den Raum gestellt. Auch RWE habe schon mehrfach erklärt, dass ein Kohleausstieg 2030 machbar sei, „wenn das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze gewaltig erhöht wird“.

Zudem sei es notwendig, so wie viele Studien zeigten, zusätzliche grüne Alternativen für die Versorgungssicherheit zu bauen. „Das können für Wasserstoff ausgelegte Anlagen sein, die für die Übergangszeit zunächst mit Gas betrieben werden.“

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Landrat Frank Rock spricht von „falscher Marschrichtung“

Der Landrat hält die Marschrichtung für falsch. „Die Menschen im Revier haben sich auf den mühsam errungenen gesellschaftlichen Konsens des Kohleausstiegsgesetzes verlassen“, sagt Frank Rock (CDU). Beim Ausstieg für das Jahr 2038 seien sämtliche Faktoren berücksichtigt worden, unter anderem Klimaschutz, Versorgungssicherheit, stabile Energiepreise, Zeit für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Transformation von Arbeitsplätzen. „Aus diesem Grund sehe ich die Region und vor allem die Menschen nicht vorbereitet auf einen noch früheren Ausstieg. Das Revier in NRW geht ohnehin schon voran.“

Es sei lobenswert, dass der neue Ministerpräsident der Energiewende und dem Klimaschutz einen so hohen Stellenwert einräume. „Gerne lade ich ihn auch in den Rhein-Erft-Kreis ein, um sich vom Kohleausstieg und dem damit verbundenen Strukturwandel im Rheinischen Revier ein umfassendes Bild zu machen.“

Andreas Heller: „Ehrlich gesagt hab ich die Schnauze ein wenig voll!“

„Die Notwendigkeit des Kohleausstiegs wird von niemanden im Rheinischen Revier angezweifelt“, sagt Elsdorfs Bürgermeister Andreas Heller. Als unmittelbar Betroffene habe die Stadt diese Herausforderung bereits seit Langem angenommen. „Wir planen unsere Zukunft auf allen Ebenen und leisten bereits jetzt unseren Beitrag für eine Zeit nach der Kohle. Doch so vollmundig und wortreich die neuen Ankündigungen des vorgezogenen Kohleausstiegs aus Düsseldorf sind, so erkennen wir hier erneut keine Antwort auf die Frage, was nach dem Ausstieg folgen soll“, sagt Heller.

Von der Umsiedlung bedrohte Dörfer. 

„Ehrlich gesagt hab ich die Schnauze ein wenig voll! Bisher hat keine vom Strukturwandel betroffene Kommune eine zählbare finanzielle Unterstützung erhalten – und das galt noch für das Ausstiegsdatum 2038. Die Landesregierung hat es bisher nicht geschafft, die eigenen Versprechen einzulösen.“ Die Auswirkungen des erneut vorgezogenen Datums auf die Betroffenen seien daher kaum abzusehen. Klar sei jedoch: „Je schneller es geht, je größer ist die Not!“

Vom Betriebsrat von RWE Power war am Mittwoch keine Stellungnahme zu bekommen. Man wolle die neue Situation erst beraten, teilte das Kölner Betriebsratsbüro auf Nachfrage mit.

Antje Grothus nimmt Hendrik Wüst in die Pflicht

„Die vielen Proteste zeigen jetzt Wirkung. Das ist ein Erfolg der Klimabewegung, also der Zivilgesellschaft und nicht der CDU“, sagt Antje Grothus, die für die Region in der Kohlekommission des Bundes gesessen hat. Für sie sind Wüsts Aussagen „längst überfällig“: „Der Ministerpräsident versucht jetzt, den Erhalt der Dörfer für die CDU zu verbuchen. Ich glaube aber, dass er nur vorwegnehmen will, was in Berlin ohnehin bald entschieden wird. Ich hätte mir von der CDU direkt nach den Empfehlungen der Kohlekommission gewünscht, dass sie die Dörfer erhält. Vor allem sind die Forderungen sehr schwammig, der Ministerpräsident »möchte« das alles nur. Was wir brauchen, ist Rechtssicherheit.“

Manheim Kirche

Das Gebiet des alten Manheims und die ehemalige Kirche dort soll nach dem Willen der Stadt Kerpen erhalten bleiben.

Außerdem verlaufe die 1,5-Grad-Grenze vor Keyenberg und Lützerath. Lützerath sei in dem dritten Umsiedlungsabschnitt, den Wüst verhindern möchte, gar nicht drin, sagt Grothus: „Wenn der neue Ministerpräsident es mit der Bewahrung der Schöpfung wirklich ernst meint, gehört aber nicht nur der Erhalt der Garzweiler Dörfer, sondern auch von Kerpen-Manheim, und die für den Hambacher Wald so wichtige großräumige Waldvernetzung und ein klares Nein zur Manheimer Bucht auf seine Agenda.“

Willi Zylajew: „Es ist überraschend, dass das Tempo jetzt so angezogen wird“

David Dresen vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ aus dem bedrohten Ort Kuckum sagt: „Dass Ministerpräsident Wüst zu einem Kohleausstieg 2030 bereit ist, zeigt, wie wirkungsvoll unser Widerstand ist. Aber um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, reicht es nicht aus, einige unserer Dörfer zu retten. Zur Einhaltung der Klimaziele müssen alle sechs bedrohten Dörfer, insbesondere auch Lützerath, erhalten bleiben und der Tagebau Garzweiler muss 2026 stillgelegt werden.“

„Es ist überraschend, dass das Tempo jetzt so angezogen wird“, sagt der Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, Willi Zylajew. „Aber es scheint ein gesellschaftlicher Konsens zu sein, der ohne Rücksicht auf das Rheinische Revier und die ostdeutschen Reviere durchgezogen wird.“ Der Braunkohle und den Kumpels habe die Region viel Wohlstand zu verdanken. „Darauf wird leider keine Rücksicht mehr genommen.“

Dierk Timm: „Das ist sehr wenig Zeit, um Arbeitsplätze zu ersetzen“

„Aus klimapolitischer Sicht kann ich das gut nachvollziehen“, sagt Dierk Timm, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kreistag. „Aber wir brauchen mehr Unterstützung von Land und Bund und mehr Planungsbeschleunigung.“ Ihm bereite der Strukturwandel Sorge. „Wir wissen, wie lange Planungs- und Genehmigprozesse bei uns dauern. Es bleibt nicht mehr viel Zeit in der Region, um Arbeitsplätze zu schaffen.“ Bis 2030 blieben nur noch gut acht Jahre. „Das ist sehr, sehr wenig, um Arbeitsplätze zu ersetzen.“

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Elmar Gillet, Vorsitzender der Grünen-Kreistagsfraktion, sieht in dem möglichen früheren Aus für die Kohle eine Chance, „die sich ergibt, bei den Ersten zu sein, die sich auf das Neue einstellen“. Das sei eine der Lehren, die aus vergleichbaren Prozessen habe gezogen werden können. „Ich begrüße es, dass die CDU beim Klimaschutz die Kurve bekommt, und hoffe, dass es ernst gemeint ist,“ sagt Elmar Gillet. Man wolle den Rhein-Erft-Kreis bis 2030 klimaneutral gestalten. „Dazu passt ein Kohleausstieg.“ Im Strukturwandel soll es dann möglichst nur Gewinner geben.

„Wir müssen den Strukturwandel noch schneller gelingen lassen“, sagt Christian Pohlmann, Vorsitzender der FDP-Kreistagsfraktion. Es sei abzusehen gewesen, dass zusätzliche Emissionen eher im Rheinischen Revier denn im Osten, wo die Belastungen für die Menschen höher seien, eingespart werden sollten. Dass Wüst lediglich von einem Ziel für den vorzeitigen Kohleausstieg spreche, weise womöglich darauf hin, „dass er eine Tür offen lässt“. Wahrscheinlich nicht zu schaffen sei der Anspruch, keine weiteren Dörfer abzubaggern. „Es ist eher davon auszugehen, dass RWE versucht, in dem verkürzten Abbauzeitraum so viel Kohle wie möglich zu verfeuern.“

Organisation Attac wegen Rettung von Dörfern skeptisch

„Das mag umweltpolitisch wünschenswert sein, aber es stellt sich die Frage, ob wir das ganze Land nicht von einer sicheren Energieversorgung abschneiden“, sagt Karl Heinz Spielmanns, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Kreistag. Das Land brauche die Energiekapazitäten aus Kohlestrom, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Hans Decruppe, Fraktionsvorsitzender der Linken, begrüßt Wüsts Ankündigung, „allerdings sind es bis jetzt nur Worte“. Die Leitentscheidung des Landes zur Braunkohle müsse grundlegend überarbeitet werden, auch bei Windenergie und Photovoltaik mangele es am Ausbau. „Es muss Dampf in den Kessel, damit der Strukturwandel gelingt.“

Emilio Weinberg von der Organisation Attac, der die Situation am Braunkohlentagebau Garzweiler und besonders in und um Lützerath seit mehr als zwölf Jahren begleitet, bleibt skeptisch. „Auch wenn nur noch neun Jahre Kohle abgebaut würde, heißt das nicht, dass die Dörfer stehen bleiben. Bei 30 bis 35 Millionen Tonnen Braunkohlengewinnung pro Jahr werden die Bagger noch viel Land abtragen.“