In einer Woche wird das Europäische Parlament gewählt, eine Neuerung: Wahlberechtigt sind diesmal auch Jugendliche. Wir stellen die aussichtsreichsten Kandidaten aus Köln und der Region vor.
Europawahl 2024Diese Politiker aus Köln und der Region könnten es ins EU-Parlament schaffen
Schon seit einer Weile zieren etliche Plakate mit Gesichtern von Politikerinnen und Politikern die Straßen von Köln und der Region. Es ist europäischer Wahlkampf. Insgesamt 1331 Kandidatinnen und Kandidaten aus insgesamt 35 Parteien liebäugeln mit einem von 96 deutschen Sitzen im Europäischen Parlament.
Dort, in Straßburg und Brüssel, arbeiten sie als Abgeordnete mit den Vertreterinnen und Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten an Gesetzen und beeinflussen so die Politik in Europa. Wichtige Entscheidungen zu Themen wie Klimawandel, Wirtschaft, Migration oder militärischen Auseinandersetzungen werden in dem Parlament getroffen, das alle fünf Jahre neu gewählt wird.
Am 9. Juni geben die Wahlberechtigten in Nordrhein-Westfalen und ganz Deutschland ihre Stimme ab – jeder darf ein Kreuz machen auf dem sehr langen Wahlzettel für eine Partei. Die Besonderheit in diesem Jahr: Auch Jugendliche ab 16 Jahren dürfen wählen.
Die Parteien stellen ihre Kandidatinnen und Kandidaten für Europa selbst auf. Einige von ihnen kommen aus Köln und der Umgebung. Wir stellen diejenigen vor, die realistische Chancen haben, Teil des nächsten Europäischen Parlaments zu sein.
CDU: Ex-Bürgermeisterin von Aachen bleibt im Europäischen Parlament – für junge Bergheimer wird es eng
CDU und CSU werden laut aktuellen Umfragen (Stand 30. Mai) mit 29,9 Prozent am meisten Stimmen holen – etwas mehr als bei der Europawahl 2019 (28,9 Prozent). Während die meisten Parteien mit Bundeslisten in den Wahlkampf gehen, stellen die Unionsparteien unterschiedliche Kandidatinnen und Kandidaten in den Bundesländern auf.
Als bundesweite Spitzenkandidatin für die Christdemokraten zieht Ursula von der Leyen in den Wahlkampf – allerdings ist sie in ihrer Rolle als aktuelle EU-Kommissionspräsidentin auf keinem der Wahlzettel zu finden.
Die Aachenerin Sabine Verheyen steht direkt hinter dem NRW-Spitzenkandidaten Dr. Peter Liese auf dem Landeslistenplatz 2 der CDU. Sie gehört bereits seit 2009 dem Europäischen Parlament an – davor war die 59-Jährige zehn Jahre Bürgermeisterin der Stadt Aachen. Aus Brüssel setzt sich Verheyen unter anderem für die Digitalisierung in der Bildung ein.
Digitalpolitik ist auch eins der Kernthemen des Bonners Axel Voss. Er ist ebenfalls seit 2009 im EU-Parlament und sollte mit Platz 5 auch bei der diesjährigen Wahl gute Chancen haben, dort zu bleiben.
Sollte die CDU in NRW sehr gute Ergebnisse erzielen, könnte sich auch Jennifer Szeyffert aus Bergheim im Rhein-Erft-Kreis einen Sitz im Europaparlament sichern. Die 27 Jahre alte Studentin möchte der CDU ein junges Profil geben und sich gerade für die Jugend in Europa starkmachen. Bei der Europawahl 2019 schafften es nur die Kandidatinnen und Kandidaten bis einschließlich NRW-Listenplatz 4 ins Parlament. Weil die Umfragewerte jetzt schon besser sind, stehen Szeyfferts Chancen mit Listenplatz 9 daher nicht allzu schlecht.
Für Nicola Ciliax-Kindling aus Rhein-Berg, die sich als Apothekerin im Parlament für ihren Beruf engagieren will, dürfte es vermutlich nicht reichen. Die 57-Jährige bildet auf Platz 18 das Schlusslicht der Landesliste.
SPD: Schlechte Chancen für Kölner Partei-Chefin Claudia Walther
Viele Stimmen hat die SPD bereits bei der Europawahl 2019 einbüßen müssen. 15,8 Prozent holten die Sozialdemokraten damals nur. Fünf Jahre zuvor, bei den Wahlen 2014, stand man mit 27,3 Prozent noch 11,5 Prozent mächtiger da. Ein Abwärtstrend, der sich vermutlich weiter fortsetzt: Laut Umfragen liegt die SPD derzeit nur bei 14 Prozent.
Um ihren Sitz muss sich die gebürtige Kölnerin Katarina Barley trotzdem nicht sorgen. Als Spitzenkandidatin steht die 55-Jährige auf Listenplatz 1 und wird weitere fünf Jahre im Europäischen Parlament bleiben. Seit der letzten Wahl ist die SPD-Politikerin Abgeordnete sowie eine der Vizepräsidentinnen des Parlaments. Zuvor saß sie sechs Jahre im Bundestag und arbeitete als Bundesministerin für Familien, Arbeit und Justiz.
Neben Barley dürften es noch einige Sozialdemokraten mit nordrhein-westfälischen Wurzeln nach Brüssel schaffen: Jens Geier und Birgit Sippel aus dem Ruhrgebiet sind Mitglieder des aktuellen EU-Parlaments. Mit Listenplatz 2 und 5 haben die beiden gute Karten, das auch die nächsten fünf Jahre zu bleiben. Gut sieht es zudem für den Bochum Tobias Cremer auf Platz 14 aus. Der 31-Jährige kandidiert zwar zum ersten Mal für das EU-Parlament, ganz unerfahren ist er durch seine Arbeit als Diplomat in der Europaabteilung des Auswärtigen Amtes sicherlich nicht.
Weniger gute Aussichten hat derweil Claudia Walther aus Köln auf Listenplatz 15, sofern am Ende die Wahlergebnisse am 9. Juni ähnlich hoch ausfallen wie die Umfragen. Falls Walther es doch schafft, will die 61 Jahre alte Chefin der Kölner Sozialdemokraten dort für mehr Transparenz, Klimaschutz und sowie bessere Arbeitsbedingungen arbeiten.
Grüne: Bonner Digitalpolitikerin Alexandra Geese dürfte es wieder nach Brüssel schaffen
Bündnis 90/Die Grünen konnte sich bei der Europawahl 2019 mit 20,5 Prozent gleich 21 Sitze in Brüssel sichern. Geht es nach den Demoskopen, dürften sie mit prognostizierten 14,3 Prozent wieder einige verlieren. Dennoch wird die grüne Spitzenkandidatin Terry Reintke wieder im Parlament landen. Die 37 Jahre alte Gelsenkirchenerin ist bereits seit 2014 Abgeordnete und setzt sich unter anderem für Klimaschutz und Gerechtigkeit ein.
Auf Listenplatz 10 steht der gebürtige Aachener Daniel Freund. Genauso wie Reintke ist der 39-Jährige bereits erfahrener EU-Politiker, seit 2019 arbeitet er in Brüssel. Einer seiner größten politischen Erfolge sei unter anderem gewesen, mit den Grünen 20 Milliarden Euro EU-Geld für Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán eingefroren zu haben, schreibt Reintke auf seiner Webseite.
Auch die Bonnerin Alexandra Geese, auf Platz 11 der Grünen-Liste, wird im EU-Parlament bleiben. Sie ist ebenfalls bereits seit 2019 Abgeordnete und seit 2022 stellvertretende Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen. Die 55-Jährige befasst sich vor allem mit Digitalpolitik. Sie verhandelte den Digital Service Act mit – eine EU-Verordnung, die im Februar 2024 in Kraft trat und mit der Plattformen wie TikTok dazu angehalten werden sollen, konsequenter gegen die Verbreitung von illegalen Inhalten, Hass und Hetze vorzugehen.
FDP: Kandidaten aus dem Großraum Köln brauchen ein Wahlwunder
Die FDP hat 194 Kandidatinnen und Kandidaten für den 9. Juni zur EU-Wahl aufgestellt. Davon werden es aber nur wenige auch wirklich nach Brüssel schaffen. In den Umfragen stehen die Freien Demokraten lediglich bei 3,9 Prozent. Noch einmal weniger als bei der Europawahl 2019 – das Endergebnis der FDP waren damals 5,4 Prozent.
Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat die liberale Partei eine besonders prominente Spitzenkandidatin in den europäischen Wahlkampf berufen. Derzeit ist die 66-Jährige noch Bundestagsabgeordnete sowie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Strack-Zimmermann, geboren in Düsseldorf, sei jedoch schon „von klein auf leidenschaftliche Europäerin“, heißt es auf ihrer eigenen Internetseite. Darum wolle sie es sich „nicht in Berlin bequem machen“, sondern „in Europa unbequem“. Mit Listenplatz 1 wird ihr das auch gelingen.
Wenn die Ergebnisse der Europawahl so ausfallen, wie die Umfragen es vorhersagen, dürfte es auch Strack-Zimmermanns Düsseldorfer Kollege Moritz Körner, Listenplatz 4, erneut ins Europäische Parlament schaffen – der 33 Jahre alte Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FPD ist seit 2019 EU-Abgeordneter.
Schlechte Karten haben allerdings die Kandidaten auf der FDP-Liste aus dem Großraum Köln: Es müsste schon ein kleines Wunder geschehen, damit etwa Marcel Japes (Frechen, Listenplatz 26), Michael To Vinh (Bad Godesberg, Platz 41) und Hauke Hintze (Köln, Platz 45) wirklich einen Sitz im EU-Parlament bekommen.
AfD: Krahs Skandale dürften Chancen für Kandidaten aus Bonn und Rhein-Sieg kaum schmälern
Neun Abgeordnete der Alternative für Deutschland (AfD) sitzen derzeit im EU-Parlament. Bei den vergangenen Wahlen konnte sich die Partei elf Prozent sichern und hatte somit auch elf Politiker in Brüssel stationiert. Doch Jörg Meuthen und Lars Berg haben die AfD seitdem verlassen, ihre Mandate haben sie behalten. Bei der anstehenden Wahl dürfte die Partei aktuellen Umfragen zufolge weitere Erfolge erzielen: Die AfD steht laut Umfragen derzeit bei 15,1 Prozent und ist hinter den Unionsparteien zweitstärkste Kraft.
Allerdings ist der Wahlkampf der AfD durch die vielen Skandale um Spitzenkandidat Maximilian Krah ins Straucheln geraten. Es stehen Vorwürfe der Spionage sowie der Annahme von ausländischem Bestechungsgeld im Raum. Krah, seit 2019 als Abgeordneter in Brüssel, zog sich daraufhin aus dem Bundesvorstand der AfD und dem Europa-Wahlkampf zurück. Ihm blieb wenig anderes übrig, schließlich hatte ihm seine Partei ein Auftrittsverbot erteilt. Alle neun europäischen AfD-Abgeordneten wurden nach Krahs Skandalen aus der europäischen, rechten Fraktion „Identität und Demokratie“ ausgeschlossen.
Einer erfolgreichen Kandidatur von zwei AfD-Politikern aus dem Rheinland sollte all das aber nicht im Wege stehen. Mit Listenplatz 8 wird Hans Neuhoff aus Bonn ziemlich sicher einen Sitz im EU-Parlament ergattern können. Der 65 Jahre alte Professor ist an der Musikhochschule Köln tätig. Unter anderem soll er mit Björn Höcke an der „Europa-Resolution“ zusammengearbeitet haben, ein Plan, die EU aufzulösen und durch eine Wirtschafts- und Interessengemeinschaft zu ersetzen. Zudem möchte Neuhoff die „unerträgliche Regenbogenpropaganda aus allen Institutionen“ verbannen – unter anderem, weil derzeit Erzieherinnen Kinder in ihrer Geschlechtsidentität verunsichern würden.
Irmhild Boßdorf, stellvertretende Sprecherin der AfD Rhein-Sieg, wird mit Platz 9 ebenfalls ziemlich sicher bald in Brüssel sitzen. Sie vertritt radikale Positionen: So sprach sie etwa von einem „menschengemachten Bevölkerungswandel“, Geflüchtete sollte ihrer Meinung nach gewaltsam an den EU-Außengrenzen zurückgedrängt werden. Zudem pflegt die 57-Jährige Verbindungen zur Identitären Bewegung, Boßdorfs Tochter gilt als Kopf der Nachfolgeorganisation „Lukreta“.
Linke: Frühere Kölner Stadträtin Özlem Demirel-Böhlke wird es eng
Am anderen Ende des demokratischen Spektrums sieht es derweil schlecht aus. Die Linke holte 2019 nur 5,5 Prozent, hat also aktuell fünf EU-Abgeordnete. Aktuelle Umfragen prognostizieren für den 9. Juni noch weniger Wählerstimmen – demnach wird die Linkspartei nur 3,3 Prozent holen.
Das sollte zumindest für die beiden linken Spitzenkandidaten ausreichen: Martin Schirdewan (Listenplatz 1), seit 2017 bereits im EU-Parlament, könnte seinen Sitz in Brüssel so sichern. Carola Rackete (Platz 2), bekannt geworden als Retterin von Geflüchteten, die im Mittelmeer in Seenot geraten sind, würde damit ihr erstes großes politisches Amt bekleiden.
Knapp wird es derweil schon für die Düsseldorferin Özlem Demirel-Böhlke. Sie steht auf Listenplatz 3. Seit der letzten Wahl ist die 40-Jährige Mitglied des Europäischen Parlaments, zuvor saß sie für Die Linke im NRW-Landtag, davor war sie Teil des Kölner Stadtrats.
BSW: Mitgründer von Wagenknecht-Partei aus Düsseldorf und Köln bald in Brüssel
Nachdem Sahra Wagenknecht im Oktober 2023 nach mehr als 30 Jahren aus der Linkspartei ausgetreten war, gründete sie im Januar 2024 offiziell das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ihre neue Partei konnte bei den jüngsten Kommunalwahlen in Thüringen – den ersten Wahlen, bei welchen der BSW antrat – respektable Ergebnisse erzielen: In vier Kreistagen sicherte sich die Wagenknecht-Partei Sitze, im Kreis Nordhausen stellt das BSW sogar den Ortsbürgermeister.
Die erste größere Wahl steht dem BSW nun am 9. Juni bevor. 6,3 Prozent der Wählerstimmen könnte die neu gegründete Partei hier laut Umfragen holen. Neben dem ehemaligen linken Politiker Fabio De Masi gehört Thomas Geisel aus Düsseldorf zu den Spitzenkandidaten der Partei. Der 60-Jährige verließ die SPD, um die neue Partei mit Wagenknecht zu gründen. Zuvor war er von 2014 bis 2020 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt.
Gut sieht es auch für Ruth Firmenich auf Listenplatz 4 aus. Die Kölnerin gehört ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern des BSW, davor war sie viele Jahre in verschiedenen Funktionen Teil der Linkspartei – unter anderem als Leiterin des Bundestagsbüros von Wagenknecht. 2009 und 2014 kandidierte sie schon einmal für das EU-Parlament.
Kandidaten der Partei, Volt und weiterer aus der Region haben kaum realistische Chancen
Die Freien Wähler holten bei der vergangenen Europawahl 2,2 Prozent, in diesem Jahr könnten sie Umfragen zufolge mit 2,8 Prozent einen weiteren Platz im EU-Parlament holen. Allerdings stellt die liberalkonservative Partei keine Kandidatinnen oder Kandidaten, die aus dem Großraum Köln oder NRW kommen.
Einen weiteren Sitz in Brüssel könnte die Tierschutzpartei sich sichern: Sie lag 2019 noch bei 1,4 Prozent, laut aktuellen Umfragen können sie sich leicht auf 2,1 Prozent verbessern. Der Dortmunder Sebastian Everding dürfte demnach ins Europäische Parlament einziehen. Der 40 Jahre alte Spitzenkandidat der Tierschützer ist als Nachhaltigkeitsunternehmer tätig. Unter anderem hat er sich in dieser Funktion die Bienenautomaten ausgedacht. Hierbei handelt es sich um wiederverwertete Kaugummiautomaten, aus denen Wildblumensamen und damit Futter für die Insekten gezogen werden kann.
211 Kandidatinnen und Kandidaten stehen auf der Liste der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die Partei). Vermutlich wird es aber nur Martin Sonneborn gelingen, der seit 2014 für die Satiriker im EU-Parlament sitzt, wieder einen Sitz zu erkämpfen. Nachdem Die Partei bei der vergangenen Europawahl noch 2,4 Prozent holte, ist sie derzeit in den Umfragen auf 1,6 Prozent gefallen.
Die Kölnerin Rebekka Müller zieht für Volt in den Wahlkampf. Realistische Chancen hat die 35-Jährige allerdings auf Listenplatz 4 nicht: Im März holte die Partei in den Umfragen lediglich 0,6 Prozent, weniger als bei der vergangenen Parlamentswahl (0,7 Prozent). In den neusten Umfragen taucht Volt gar nicht auf, wird nur unter „Sonstige“ geführt.
Hier findet man auch die Letzte Generation. Die Klimaaktivisten sind unter dem Namen „Parlament aufmischen – Stimme der Letzten Generation“ als sogenannte „sonstige politische Vereinigung“ zugelassen. Neben Spitzenkandidatin Lina Johnsen steht auch Carla Hinrichs auf der Liste (Platz 3). Die Sprecherin und Mitgründerin der Letzten Generation wurde durch die vielen Straßenblockaden der Aktivisten bekannt: 2023 kam es zu einem Gerichtsprozess wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie zu einer Razzia in ihrer Wohnung, wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.