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„Rechtsextrem“, „rechtsradikal“Ist die AfD eine „Nazipartei“? Das politische ABC ganz rechts

Lesezeit 7 Minuten
Kulturkampf am Küchentisch: Darf man die AfD als „rechtsextrem“ oder gar als „Nazipartei“ bezeichnen? Es ist kompliziert.

Kulturkampf am Küchentisch: Darf man die AfD als „rechtsextrem“ oder gar als „Nazipartei“ bezeichnen? Es ist kompliziert.

Im Wahlkampf herrscht Begriffschaos um die AfD. Ist „rechtsradikal“ dasselbe wie „rechtsextrem“? Was heißt „in Teilen gesichert rechtsextremistisch“?

Wenn er Björn Höcke „so eiskalt daherreden“ höre, sagte ein entgeisterter Hendrik Wüst im vorigen Jahr, dann laufe es ihm „kalt den Rücken herunter“. Man dürfe Höcke einen „Faschisten“ nennen, fügte der nordrhein-westfälische CDU-Ministerpräsident hinzu, einen „Nazi“ also. Und wenn die prägende Figur einer Partei ein Nazi sei, urteilte Wüst, „dann ist das eine Nazipartei“.

Ist die AfD eine „Nazipartei“? Ist „rechtsradikal“ dasselbe wie „gesichert rechtsextrem“? Was bedeutet überhaupt „gesichert“? Was unterscheidet verfassungsrechtlich einen „Prüffall“ von einem „Verdachtsfall“? Was ist „rechts“? Und ist es wichtig, sprachlich präzise zu bleiben – oder ist jede Wortklauberei ganz rechts nur eine gefährliche Verharmlosung?

Es ist kompliziert. Denn ebenso wichtig wie Fairness und Fakten sind in der politischen Debatte exakte Begrifflichkeiten. Warum? Weil diffuses Bashing („Alles Nazis!“) nur die Spaltung fördert und Trotzreflexe in der Wahlkabine begünstigt. Formale Korrektheit ist anstrengend, aber essenziell. Denn das Gefühl, pauschal als „Nazi“ abgestempelt zu werden, entfremdet viele Menschen vom demokratischen System insgesamt. An Hunderttausenden Küchentischen dürfte sich in diesen Tagen ein politischer Kulturkampf abspielen:

„Warum willst du AfD wählen? Das ist eine Nazipartei!“ – „Ist es nicht!“ – „Ist es doch! Die sind rechtsextrem!“ – „Sagt wer?“ – „Der Verfassungsschutz!“ – „Der wird doch von den Altparteien kontrolliert!“ – „Quatsch! Die AfD ist in Teilen gesichert rechtsextrem!“ – „Aber keine Nazipartei!“ – „Das ist doch dasselbe!“ – „Ist es nicht!“ – „Ist es doch! Und Björn Höcke ist ein völkisch-nationaler Faschist!“ – „Was soll das denn sein?“ – „Ein Nazi!“ – „Der ist höchstens ein neurechter Populist!“ – „Das ist doch dasselbe!“ – „Ist es nicht ...!“

„Die Begriffe Rechtsextremismus, Neonazis, Rechtsradikalismus werden häufig durcheinandergewirbelt“

Je missverständlicher die Vokabeln, desto leichter kann sich ein ruinöser Streit aufschaukeln. Das hat zuletzt die Corona-Zeit gezeigt, in der eine zermürbende, polemische Alarmdebatte um Impfflicht, Moral und Solidarität Familien entzweit, Freundschaften zerstört und tiefe Wunden gerissen hat in vielen Fällen nur wegen semantischer Verschorfungen. Nun drohen neue Konflikte. Denn: „Die Begriffe Rechtsextremismus, Neonazis, Rechtsradikalismus werden häufig durcheinandergewirbelt“, sorgt sich nicht nur die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb). Wagen wir also den Versuch einer Begriffsklärung.

Was heißt überhaupt „rechts“? „Rechts“ bedeutet zunächst nur, rechts der Mitte im politischen Spektrum zu stehen, das seinen Ursprung in der Französischen Nationalversammlung von 1789 hat. Dort saßen die „Radikalen“ (damals die sozial-liberalen Demokraten) links und die konservativ-reaktionären Aristokraten rechts. Von Frankreich aus erfasste das Links-rechts-Schema ganz Europa. Auch im deutschen Paulskirchenparlament von 1848 saßen die republikanischen Monarchiegegner links und die konservativen Königsfreunde rechts.

„Radikale“ politische Ansichten sind nicht verboten

Und was bedeutet „radikal“? Wer „radikal“ denkt, will gesellschaftliche Fragen kompromisslos einseitig von Grund auf lösen (lat. „radix“: „Wurzel, Ursprung“) . Das ist nicht verboten. „Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz“, urteilt die bpb. Die Gesellschaft müsse „auch exponierte, radikale rechte oder linke Auffassungen dulden“, befindet auch der Politikwissenschaftler Rudolf van Hüllen.

Die AfD jedoch gilt nicht als rechtsradikal, sondern als „in Teilen gesichert rechtsextrem“. Es ist die nächste politische Eskalationsstufe. Rechtsradikale stellen zwar auch die Grundregeln der Gesellschaft infrage, planen aber keine totalitäre Diktatur oder ein neues Kaiserreich. Rechtsextreme hingegen wollen die Demokratie abschaffen.

Der Verfassungsschutz als „Frühwarnsystem der Demokratie“

Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, als „Frühwarnsystem der Demokratie“ genau das zu verhindern. Dazu darf er jederzeit öffentlich einsehbare Informationen – wie Presseartikel oder TV-Auftritte – über Organisationen, Parteien oder Personen auf verfassungswidrige Indizien hin überprüfen („Prüffall“). Ergeben sich daraus Anhaltspunkte für extremistische Absichten, wird aus dem Vorgang ein „Verdachtsfall“. Ab diesem Punkt muss die Öffentlichkeit informiert werden. Nun dürfen die Ermittler auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, also V-Leute anwerben oder Handys überwachen. Wenn sich der Verdacht weiter erhärtet, kann die Behörde eine Gruppierung als „gesichert rechtsextrem“ einstufen (oder auch „gesichert linksextrem“ – wie etwa die Deutsche Kommunistische Partei DKP seit 1968).

Die AfD-Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind nach diesem Prinzip bereits als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft, drei weitere Landesverbände gelten als Verdachtsfall – deshalb „in Teilen“. Die Jugendorganisation „Junge Alternative“ – von der sich die Partei gerade losgesagt hat – wird bundesweit als „gesichert rechtsextrem“ kategorisiert, ebenso der offiziell zwar aufgelöste, aber weiterhin aktive „Flügel“ um Björn Höcke. Die Bundes-AfD insgesamt gilt als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“. Unterm Strich ist die Bezeichnung „in Teilen gesichert rechtsextrem“ für die AfD also korrekt. Aber ist sie damit auch „faschistisch“ – oder im Sinne von Wüst eine „Nazipartei“?

Der Faschismus ist, wörtlich gesehen, die Eigenbezeichnung der rechtsextremen Bewegung, die unter Benito Mussolini ab 1922 Italien beherrschte, benannt nach ihrem Abzeichen, das ein Bündel altrömischer Holzruten mit Beil zeigte (lat.: „fascio“), das Machtsymbol der Funktionäre im Römischen Weltreich. Schnell wurde das Wort zum Sammelbegriff für alle ultrarechten Führerideologien.

Warum Björn Höcke als „Faschist“ bezeichnet werden darf

Der im linken Spektrum gern zur Kampfvokabel („Fascho“) verkürzte Terminus ist unter Historikern als Synonym für die NS-Ideologie umstritten. Konkret beschreibt „Faschist“ nur die Anhänger eines mediterranen Mussolini-Neofaschismus. Der US-Politikwissenschaftler Paul Gottfried etwa hält das Wort nicht für geeignet als Bezeichnung für „alles, was der Sprecher tief abstoßend findet“.

Warum darf AfD-Vordenker Björn Höcke also als „Faschist“ bezeichnet werden? Das Verwaltungsgericht Meiningen entschied 2019, dass die Bezeichnung ein zulässiges „Werturteil“ darstelle, das nicht aus der Luft gegriffen sei, sondern „auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht“. Genau genommen urteilte das Gericht nicht, dass Höcke ein Faschist ist, sondern dass er im Rahmen der Meinungsfreiheit als solcher bezeichnet werden darf.

Und was sind dann Identitäre? Sie propagieren als völkisch orientierte Ausländerfeinde das imaginäre „Idealbild“ eines homogenen, „reinen“ Volkes, das vor jedem „fremden“ Einfluss zu schützen sei. Im Zentrum dieses Weltbildes steht die verschwörungserzählerische Angst vor einem „großen Austausch“ der hiesigen Bevölkerung durch nicht europäische Zuwanderer mithilfe einer mächtigen „Sozial-Asyl-Migranten-Lobby“.

Die „Neuen Rechten“ geben sich subtiler

Vorreiter waren 2002 französische Bündnisse, ab 2012 bildeten sich deutsche Ableger, befeuert auch von der Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Die islamfeindliche, identitäre Ideologie gehört zum diffusen Spektrum der Neuen Rechten, gibt sich wie ein politischer Wolf im Schafspelz gern den Anstrich von Intellektualität, verstößt aber laut Verfassungsschutz „gegen die grundgesetzlich verankerte Menschenwürde sowie das Demokratieprinzip“.

In neurechten Parteien – dazu gehören etwa die österreichische FPÖ, die Lega Nord in Italien oder die SVP in der Schweiz – sucht man durch subtilere Signale Anschluss im konservativen Lager, arbeitet in Wahrheit aber daran, wie der Schweizer Publizist Roger de Weck befand, „Menschenverachtung salonfähig zu machen“. Die AfD wird von neurechten Netzwerken unterstützt, ist aber keine „neurechte“ Partei. Warum? Das Label wäre für sie zu harmlos. „Eine Partei, die politisch rechts steht und den Systemzusammenbruch herbeisehnt, ist zweifellos keine ‚normale Partei‘ im demokratischen Wettstreit einer pluralistischen repräsentativen Demokratie“, schreibt der Historiker Ralf Melzer, heute Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Israel, in einem „Spiegel“-Gastbeitrag.

Hitler war kein Kommunist

Was heißt überhaupt „Nazi“? Der „Nationalsozialismus“ als mörderische Basis des Dritten Reiches war im Kern ein politischer Trickbegriff: Der Nationalismus rückt im Sinne einer neuzeitlichen „Stammeszugehörigkeit“ die Interessen souveräner Einzelstaaten ins Zentrum, der Sozialismus hingegen die individuellen Rechte ausgebeuteter Arbeiter. Hitler behauptete, beides zu vereinen. Mit ihrem angeblichen „nationalen Sozialismus“ grenzten sich die Nazis einerseits vom Internationalismus der Kommunisten und Sozialdemokraten ab – und gleichzeitig vom konservativen „Nationalismus“ der „Altparteien“. Nur weil das Wort „Sozialismus“ in „Nationalsozialismus“ vorkommt, war Hitler aber noch lange kein Kommunist, wie AfD-Chefin Alice Weidel in ihrem Gespräch mit Elon Musk behauptete. Kommunisten gehörten zu den ersten Opfern der NS-Mörder.

Jeder Neonazi ist also mindestens rechtsradikal, aber nicht jeder Rechtsradikale ist ein Neonazi. Schnittmengen gibt es mit Reichsbürgern, die wiederum die Bundesrepublik für illegitim halten. Und die AfD? Sie galt lange als „rechtspopulistisch“, aber nicht als rechtsextrem. Das ändert sich. „Anders als Rechtsextremisten oder sogar Rechtsterroristen wie der NSU markieren Rechtspopulisten die Grauzone zwischen demokratisch-konservativ und rechtsextrem“, schreibt Melzer. In Frankreich habe sich der Front National unter Marine Le Pen von einer rechtsextremen zu einer rechtspopulistischen Partei gewandelt. Die AfD hingegen nimmt, so steht es zu befürchten, im Wahljahr 2025 genau den umgekehrten Weg.

Ist sie also eine „Nazipartei“? Im strengen Sinne nicht, denn ihr konkretes Ziel ist nicht die Reinstallation eines totalitären Führerstaates nach NS-Vorbild. Aber es gibt ideologische Übereinstimmungen. Fazit: Nicht jeder „Rechte“ ist rechtsextrem, und schon gar nicht ist jeder AfD-Wähler ein Nazi. Es muss jedoch bei jedem Kreuz in der Kabine klar sein, dass es hier – bleiben wir begriffspräzise – um eine in Teilen gesichert rechtsextremistische Partei geht, die Menschen in ihren Reihen duldet, die gerichtsfest als Faschisten bezeichnet werden dürfen, und die dem Verfassungsschutz bundesweit ausreichend Anlass zu dem Verdacht bietet, das Grundgesetz aus den Angeln heben zu wollen. Das ist erschreckend genug.